Kategorien
Golf

Zuviel Nervosität, Angst, Enttäuschung, Ärger und Wut: wie kann ich die Psyche selber regulieren – auch unter Druck?

Die meisten professionellen Sportler*innen, Musiker*innen, Performer*innen empfinden Lampenfieber vor ihrem Wettkampf oder Auftritt. Vielleicht ist das auch gut so. Würde das Lampenfieber fehlen, wären sie gar nicht aktiviert genug, eine optimale Leistung zu zeigen? Nur im Zustand der individuellen optimalen Spannung kann eine persönliche Höchstleistung abgerufen werden.
In der Sportpsychologie reden wir von einem idealen Leistungszustand. Dieser variiert für verschiedene Tätigkeiten, z.B. für verschiedene Sportarten. Golfer*innen brauchen weniger Spannung im Körper als bspw. Turmspringer oder Hürdenläufer. Und dann ist der ideale Leistungszustand auch noch von Mensch zu Mensch unterschiedlich und variiert von Situation zu Situation.

Die bestmögliche Leistung kann in der optimalen Spannungslage abgerufen werden. Diese entspricht nicht unbedingt unserem Alltagszustand. Und nicht alle Golfer*innen sind gleich. Manche Golfer*innen müssen eher entspannter sein, damit ihnen ein lockerer Schlag gelingt, andere eher ein wenig aktivierter als in ihrem Normalzustand. Dies herauszufinden und wahrzunehmen ist am Anfang nicht ganz einfach. Der oder die Sportpsycholog*in hilft gerne dabei. Es könnte sogar sein, dass ausgerechnet der Spannungszustand der optimale ist, den wir als Nervosität bezeichnen würden. Dann wäre die grosse Frage, wie spiele ich gutes Golf in diesem Zustand? Ist der Grad der Anspannung vielleicht geradezu ideal, ist er zu angespannt, ist er zu entspannt?

 

Wie lerne ich mit dem Zustand umzugehen?

Wie fühlt sich mein Körper an? Kann ich den Zustand in meine Turnierroutine einpassen? Kann ich mich mental darauf vorbereiten? Was hilft mir, mich zu aktivieren oder mich zu entspannen?
Fast jede Golfplatz-Rezeption verteilt Gummibänder zum befestigen von Greenfee-Quittungen. Schnappen Sie sich so eines und halten Sie es zwischen Ihre Daumen. Spannen Sie das Gummiband an, spielen Sie damit und stellen Sie sich vor, das Gummiband sei Ihre Muskeln: Wie angespannt sind die Muskeln? Sind sie vielleicht sogar zu locker? Wieviel Spannung wäre gerade richtig?
Müssen Sie sich eher aktivieren oder entspannen?
Probieren Sie es aus, nehmen Sie Ihre Muskelanspannung anhand des Gummibandes wahr und die ideale Spannung überträgt sich auf wundersame Weise auf Ihre Muskeln.
Das ist der Carpenter-Effekt: Wird ein Muskel in der Vorstellung bewegt, zeigt sich eine Tendenz zur effektiven Bewegung und diese funktioniert danach besser, wird also durch die intensive mentale Vorstellung geübt. Die Gummibandübung gelingt umso besser, je mehr Spiegelneuronen wir haben. Dies sind Nervenzellen, die bewirken, dass wir in uns nachfühlen können, was wir bei jemand anderem oder in der Vorstellung wahrnehmen.

 

Emotionen wollen uns etwas sagen.

Haben wir Angst, gibt es vermutlich eine Gefahr. Angst soll uns vor Gefahren warnen, davor, dass wir ungeübt über eine Klippe springen oder uns in einen Löwenkäfig begeben. Haben wir Angst, wollen wir vielleicht am liebsten flüchten wie ein Pferd oder wir erstarren wie ein Reptil oder wir blasen zum Angriff wie ein Bär. Aber, ist die Gefahr denn real? Ist es vielleicht nur ein Reflex? Die Gefahren auf dem Golfplatz sind höchst selten lebensbedrohlich und sollten keine starken Reflexe auslösen.

Trotzdem läuft offenbar ein uraltes Programm in uns ab und unsere Muskeln ziehen sich zusammen oder blasen sich auf. Fühlen wir uns nervös oder haben wir Angst, besteht der erste Schritt darin, dieses Gefühl überhaupt wahrzunehmen. Okay, ich bin nervös, ok, ich habe Angst. Dann, zweitens, anerkennen wir es: okay, es ist eine besondere Situation heute, dies löst bei mir dieses Gefühl aus. Und drittens: Wo spüre ich dieses Gefühl im Körper, wie fühlt es sich genau an. Vielleicht spüre ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, ich habe weiche Knie, der Kopf schmerzt oder ich fühle eine allgemeine Muskelanspannung. Das Gefühl wird also notiert, anerkannt, die somatischen Marker im Körper werden wahrgenommen und viertens beginne ich mit der Regulation.
Dazu atme ich einfach mal richtig tief durch. Und ich bringe die Atmung dahin im Körper, wo ich die Angst wahrnehme. Ich atme tief, ruhig und richtig gut aus.

Die Atmung ist das einzige, was wir im Körper willentlich beeinflussen können.

Über die Atmung können wir die Körperspannung regulieren. Lege ich das Bewusstsein v.a. auf die Ausatmung, entspanne ich mich. Umgekehrt kann ich mich über ein paar schnelle, tiefe Atemzüge aktivieren.
Zwar ist heute Turnier, es findet ein wichtiges Spiel statt, aber muss dies so viel Bedeutung haben?
Angst existiert nie im Jetzt – ausser wir sehen uns plötzlich einer absolut realen Gefahr ausgesetzt -, das ist ganz wichtig. Angst wie wir sie beim Golfspielen kennen, stammt oft aus der Vergangenheit, aus gesammelten schlechten Erfahrungen. Angst ist meist eine Projektion in die Zukunft, Angst vor dem schlechten Schlag, Angst vor einem schlechten Resultat. Angst kann sich mitten auf der Runde breit machen, wenn ich zu zählen anfange und an das Endresultat denke z. B. oder wenn ich daran denke, dass ich an diesem Loch letztes Mal eine 10 schreiben musste, der Ball beim letzten solchen Schlag ins hohe Rough flog oder im tiefen Bunker landete und ich ihn dann kaum aus dem Rough brachte oder ihn in den nächsten Bunker bugsierte. Gelingt es mir, mich und meine Gedanken im Jetzt zu bewegen, kann die Angst nicht existieren. Bei Angst ist es also wichtig, mit allen Gedanken ins Jetzt zu kommen. Die Gedanken beschäftige ich mit der unmittelbar anstehenden Aufgabe, nähre sie mit positivem Selbstgespräch, fokussiere mich auf den aktuellen Schlag. Habe ich zuviel Zeit, schaue ich mir die Natur, in der ich mich bewege ganz genau an, höre dem Zwitschern der Vögel zu, den anderen Menschen auf dem Golfplatz, der Symphonie der Natur. Ich spüre bewusst meine Füsse auf dem Boden und nehme den Boden wahr: Ist der Boden hart, ist er weich?
Gelingt es mir, mich voll auf den Moment einzustellen, habe ich den Schlüssel zur persönlichen Freiheit gefunden. Angst kann niemals gleichzeitig mit dem vollen Fokus im Hier und Jetzt existieren.
Ärger und Wut tauchen auf, wenn mir etwas nicht passt, wenn mir z.B. ein Schlag misslingt. Dem darf auch kurz Luft gegeben werden. Manchmal muss diese Enttäuschung einfach raus. Wird sie unterdrückt kann sich aus gesammelter Enttäuschung mittel- bis längerfristig eine angstvolle, lähmende Lethargie entwickeln.
Bei Ärger und Wut habe ich kurz nach Auftauchen des Gefühls die Möglichkeit dieses abzuhängen, danach fängt es an zu kochen oder in mich hineinzukriechen.

Geben wir dem Ärger freien Lauf wird er nur noch ärger.

Zum Abhängen atme ich Ärger aus und Ruhe ein; ich mache einen Strich drunter, zeige mir das Stoppschild und gebe mir die Anweisung weiterzugehen. Sofort konzentriere ich mich auf die nächste Aufgabe. Tue ich das nicht, wird es schwierig. Das Gefühl wurmt mich dann noch länger und ich bin nicht frei, mich optimal auf den nächsten Schlag zu konzentrieren. Die Muskeln sind zu angespannt. Ich muss mich lockern.

Entspannungsübungen und Mindfulness based Training

Ich kann willkürlich bestimmen, wie ich atme und mich über die Atmung entspannen oder aktivieren.
Weiter können uns Progressive Muskelrelaxation oder andere Entspannungstechniken über die Atmung helfen, mit Gefühlen umzugehen und unseren Körper richtig einzustellen. Insbesondere Achtsamkeitsübungen, tägliche kleine, kurze Mindfulness-Meditationen können helfen den Geist und die Gefühle zu beruhigen und daraus eine Gewohnheit werden zu lassen. Dies dauert bei täglichem Üben ca. acht Wochen. Im Internet finden sich viele Anleitungen und es gibt Kurse. In der Schweiz wird ein achtwöchiger MBSR/MBCT-Kurs sogar von den Kassen unterstützt.
Einmal eingeübt können wir unseren Körper mithilfe dieser Techniken besser und besser entspannen oder aktivieren, wir lernen ihn durch die Arbeit mit ihm besser kennen und es gelingt uns je länger je mehr, den Körper, die Gedanken und die Gefühle auf den idealen Leistungszustand einzustellen.
 

Was ist der Unterschied zwischen einer Trainings- und einer Turnierrunde? Entsteht der Unterschied nur im Kopf?

Am Turnier stehen Erwartungen im Raum. Am eigenen Himmel türmen sich Druck und Stress auf wie Cumulus-Wolken. Enttäuschung, Wut und Ärger breiten sich aus, wenn ich den Erwartungen nicht genügen kann und beim nächsten Mal ist der Druck noch grösser.

Beim Training und auf Freundschaftsrunden geht es meistens um nichts.  Dann sind wir oft zu entspannt, um eine wirklich gute Runde zu spielen. Beim Training müssen wir uns dieselben Ziele stecken, wie am Turnier: Denselben Druck aufbauen, dieselben Herausforderungen suchen. Was motiviert uns, dran zu bleiben? Manchen Golfer*innen ist die Ehre wichtig. Wer gewinnt hat die Ehre, wer verliert bezahlt die Getränke. Und ich spiele immer gegen das eigene Handicap. Ich möchte meine Vorgabe spielen und versuche jedes Mal meine Vorgabe zu unterbieten. Oder ich gebe eine Prognose ab: Heute spiele ich 36 Stableford Punkte. Im Turnier ist ein Schlag nie wiederholbar. Es gibt nur einen Versuch. Auf der Trainingsrunde sollen die Schläge genau gleich zählen. Weder Mulligans oder zweimal der gleiche Schlag auf der Driving Range entsprechen den Bedingungen, die ich am Turnier habe und die ich üben will. Nehme ich das ernst, bleibe ich dran und schreibe meine Scores auf, dann kann ich mich immer wieder motivieren, mein Spiel zu verbessern und das Spiel unter Druck zu üben. Allerdings gelingt mir dies nur, wenn ich Schlag für Schlag spiele und erst am Ende der Runde Bilanz ziehe, also dem Prozess und nicht dem Endresultat Raum gebe.

Ich empfehle ein Logbuch zu führen: ein Trainings- und Turnier-Tagebuch.
So lernt man sich selber gut kennen und das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Psychoregulation. In einem solchen Logbuch halte ich fest: Was lief heute richtig gut? Was habe ich heute über mich selber gelernt? Was habe ich heute über meine Leistung gelernt? Was mache ich nächstes Mal anders, und wie mache ich es dann?
Was war heute mein grösster Misserfolg und wie gehe ich damit um, so dass ich daraus etwas lernen kann?
Woran will ich noch arbeiten, was will ich noch lernen und verbessern? Was war heute mein grösster Erfolg? Gibt es eine Möglichkeit, diesen zu stärken? In einem Logbuch halte ich auch somatische Marker fest: Was ich im Körper wahrnehme. Ich kann auch Pulsmessungen durchführen und schauen, wie hoch mein Puls im nervösen Zustand ist, wie hoch unter optimaler Spannung, im idealen Leistungszustand, wie hoch auf der Trainings- oder Freundeskreis-Runde. Und ich protokolliere Erfahrungen mit der Atmung oder mit Entspannungsübungen. So gelingt es mir besser und besser einzuschätzen, wieviel Spannung optimal ist und herauszufinden, wie ich diesen idealen Leistungszustand herbeiführen kann.
Treten am Turniertag Spannungen auf, kann ich diese gezielt mit bewusster Atmung, kurzem Anspannen und Entspannen ansprechen.Die Blitzentspannung (z.B. Gummizug-Übung) gelingt besser.
Das mentale Training (in der Vorstellung) kann uns helfen, uns besser auf den Turnierstress einzustellen. Sind wir am Turniertag angespannt, bewegen wir uns automatisch schneller und atmen schneller und flacher. Dem wirken wir bereits in der Vorstellung entgegen und können das so eingeübte Verhalten am Turniertag besser umsetzen.
Zudem stellen wir uns einen Turniertag im Geiste vor: Wie ist der Ablauf? Was könnte stören? Wie könnte ich darauf antworten? Wie könnte ich die für mich ideale Atmosphäre schaffen?
Wir überlegen uns, was wir sonst noch tun könnten, um uns zu entspannen oder zu aktivieren: Musik könnte uns helfen, den Rhythmus zu finden, ein entsprechendes Selbstgespräch könnte uns unterstützen: Je nachdem ob wir uns entspannen wollen, „Ich atme Anspannung aus – und Ruhe ein“,„Ruhig, ganz ruhig…“, oder anfeuern wollen „Come on“, „Ich pack’s jetzt“ benutzen wir unterschiedliche Anweisungen.
Musik und Selbstgespräch lassen sich gut zusammenmixen. Spitzensportler hören gerne ihre Musik und dazu gemischt ihre eigene Stimme, die ihnen gut zuredet. Die eigene Stimme ist besonders wirksam. Mischen Sie sich Ihren eigenen Entspannungs- oder Aktivierungstonträger.
Langsam und je länger je mehr (darum auch die Empfehlung ein Logbuch zu führen) lernen wir uns besser kennen und wissen wir, wohin wir uns regulieren wollen und wie wir den idealen Leistungszustand abrufen können.
Hören Sie sich Interviews mit Sportler/innen an. Was sagen die Gewinner, was berichten die Verlierer? Spitzensportler/innen kennen Techniken, ihre Psyche zu regulieren und wenden sie an. Vielleicht können wir den einen oder anderen Tipp selber mal ausprobieren. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept. Fangen Sie mit dem an, was Sie am meisten anspricht, der Rest wird sich Ihnen mit der Anwendung und Übung erschliessen.

Erstveröffentlichung: GolfCult, Ausgabe Sommer 2015

> weiter mit Golf und Flow