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Routine – welche und wieviel?

Mit dem Denken ist das so eine Sache. Als „Ich denke also bin ich.“, wird der berühmte Satz des französischen Philosophen und Mathematikers Descartes gerne zitiert. Vollständig wiedergegeben heisst es, „Ich denke, also bin ich; ich zweifle, also bin ich; ich werde getäuscht, also bin ich.“ – Und da haben wir’s: Hätten wir nicht gedacht, „oh jösses, der hat den Ball voll ins Wasser geschlagen, hoffentlich passiert mir das nicht, bloss nicht ins Wasser,“ hätten wir uns nicht getäuscht, der Ball wäre wunderschön über das Wasserhindernis geflogen – golferisches Sein auf den Punkt gebracht.
 
 

Gedanken lösen Gefühle aus und Gefühle beeinflussen unsere Handlungen.

Gedanken, Gefühle, Handlungen, die mehrfach in derselben Art und Weise ablaufen, werden in dieser Kombination im Gehirn miteinander verbunden abgespeichert. Sie bilden zusammen ein Muster, eine  Konditionierung, eine Matrix oder ein Programm, das durch Ankicken einer der Komponenten weitere Komponenten auslösen kann.

Bestimmt hast du schon vom Pawlowschen Hund gehört: Wird dem Hund Futter angeboten, läuft ihm der Speichel zusammen. Wird dem Hund mehrmals Futter zusammen mit einem Glockenton angeboten, läuft ihm nur schon beim Glockenton der Speichel zusammen, weil dieser über die wiederholte gleichzeitige Präsentation zusammen mit dem Futter im Gehirn verknüpft wurde. Vergleichbares passiert im Gehirn des Golfers, der aus Angst und Zweifel heraus oder über unklare, falsche Signale die immer wieder gleichen Fehlschläge produziert.
Schauen wir uns das am Beispiel des Yips an – einem unwillkürlichen Zucken der Handgelenke oder einer zu starken Anspannung und dann zu schnellen Entspannung beim Putten, Chipen oder seltener beim vollen Schwung. Er mündet aus einer im Gehirn verfestigten unliebsamen Kombination von angstvollen Gedanken, Zweifel und unwillkürlicher Bewegung. Jede* vierte Golfer*in erlebt im Laufe der Karriere dysfunktionales Muskelspiel. Ein solches Muster wird am besten durch eine radikale Änderung durchbrochen, z.B. durch den Einsatz eines langen Putters, eines anderen Griffs oder einer komplett anderen Ausführung der Bewegung. Meistens ist eine kognitive Veränderung notwendig: Vom Vorwegnehmen des Resultats muss abgesehen werden, denn damit ist die auslösende Angst verknüpft. Loslassen also, sich von Gedanken befreien, beim Ausführen des Schwungs ein schönes Gefühl haben und den Schlag voll entschlossen durchziehen. Dann mit geeigneten Übungsabläufen so lange wiederholen, bis kein Zweifel mehr aufkommt und der Ablauf auch unter Druck standhält. Eine alte Gewohnheit wird durch eine neue Gewohnheit abgelöst. So gekehrt übernehmen wir die Führung unseres Unterbewusstseins,  steuern unsere Matrix selber, indem wir bewusst erwünschte Gedanken-Gefühls-Handlungs-Kombinationen wiederholen, einüben und automatisieren.
 

Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.

Denke ich vor Ausführung des Golfschlages an mögliche Missgeschicke oder denke ich „NICHT ins Hindernis“, versteht das Gehirn nur Missgeschick oder Hindernis, weil es Anweisungen in Bilder übersetzt. Kein Hindernis ist versinnbildlicht nur Hindernis, genau wie wenn ich dir jetzt sage, denke NICHT an einen weissen Elefanten im Rückenschwumm, der seine hellblauen Socken aus dem Wasser reckt, damit sie nicht nass werden.
 
Bloss kein weisser Elefant mit blauen Socken. Und welches Bild siehst du als Resultat? Nicht nichts? Und als nächstes sehe bitte nicht, dass der weisse Elefant an Land ist und jetzt rosarote Socken trägt!
 
 
Wird das Gehirn auf das Hindernis hingewiesen: nicht in den Bunker!, bleibt das Hindernis – in diesem Beispiel der Bunker – als Bild hängen und die Energie wird genau dahin geleitet.
 
Bilder, Gefühle, Geräusche, kurz sinnliche Wahrnehmungen funktionieren besser als vom Verstand her geleistete, abstrakte Anweisungen. 
 
Der Fokus meiner Aufmerksamkeit muss wohlbedacht sein und gehört in die Routine gepackt. Kommt der leiseste Zweifel auf, sage ich STOPP und fange mit der Routine von vorne an.
Jack Nicklaus, immer noch der grösste Golfer aller Zeiten, führte einen Schlag nie aus, bevor er bereit war. Seine Routine war keine sich immer gleich wiederholende, sondern eine der Situation angepasste.
Und das ist der Nutzen der Routine: Ein eingeübter und doch flexibler Ablauf, der Vertrauen und Sicherheit, ein Gefühl von Vertrautheit verleiht, und das Gehirn wird mit sinnvollen Gedanken beschäftigt. Unerwünschte Sorgen, Ablenkungen, Kommentare und Gefühle finden weder Raum noch Zeit sich zu entfalten

Routine ist weder fix noch vollständig kontrollierbar.

Damit die Matrix möglichst funktionell bleibt, muss eine Sicherheit und Vertrauen spendende Routine flexibel und adaptiv sein. Umstände erfordern blitzschnelle Änderungen und dann darf ich nicht darüber nachdenken, dass ich das sonst doch anders mache. Sondern ich muss dran bleiben, wissen, wo ich den Ball hinschlagen will und den Schlag in vollem Vertrauen entschlossen ausführen.

Die Pre-Shot Routine soll möglichst kurz und simpel sein.

Eine lange dauernde Routine bedeutet langsames Spiel. Und am Sonntag sechs Stunden auf dem Platz verbringen, zwei davon stehend, wollen wir niemandem wünschen und selber nicht erleben. Den Handschuh anziehen, die Windrichtung oder die Distanz bestimmen, die Lage des Balles ansehen z.B. gehören nicht zur Schwung-Routine, sondern sollen sobald als möglich erledigt werden, am Besten schon während dem ich mich meinem Ball nähere oder während grad der Mitspieler dran ist. Meistens habe ich auch genügend Zeit, mir über die Art des anstehenden Schlages Gedanken zu machen und kann bereits den Schläger auswählen, bevor ich an der Reihe bin.
In die Routine kann ein Probeschlag gehören, muss aber nicht. In die Routine gehört ein klarer Fokus, wohin ich will. Bei jedem Schlag darf mich ein Schwunggedanke begleiten, möglichst in Form eines Bildes, eines Gefühles, eines Geräusches, jedenfalls einer sinnlichen statt einer abstrakten Wahrnehmung. Eine Anweisung, aber kein Nachdenken, Brüten, Einfrieren, das wäre kontraproduktiv, denn dabei ziehen sich die Muskeln zusammen, was ein fliessendes lockeres Schwingen verunmöglicht.
Illustration Hans-Ulrich Ollegott, golfcult
Ich kann mir den Gedanken geben, den ich grad am meisten brauche, oder mir Gedankenstille gönnen. Technikgedanken haben auf dem Platz nichts zu suchen. Mit diesen arbeiten wir z.B. den Winter über oder zur Optimierung des Schwungs auf der Driving-Range, wie im Artikel „Visualisieren“ beschrieben. Auf dem Platz wenden wir die letzte automatisierte Technik an, über die wir uns keine Gedanken mehr machen müssen.

Es soll maximal ein „Gedanke“ sein.

Der Schwunggedanke kann von Schlag zu Schlag ändern oder über das ganze Turnier derselbe sein.
An den letzten British Open bewies der Sieger Rory McIlroy, dass weniger mehr ist: Er beschränkte sich drei Tage lang auf zwei Wörter: Ablauf und Punkt.
Ablauf für sich wirklich dem Spiel hingeben, sich von nichts Ablenken lassen, nicht an das Resultat und die Konsequenzen denken, schlicht und einfach gute Entscheidungen treffen und einen guten Schwung nach dem anderen machen, den Ablauf einhalten über das ganze Turnier, Schlag für Schlag.
Punkt für das Putten: Den Ball über den Punkt rollen lassen. Fertig, das war’s „Ablauf und Punkt“.

Die Pre-Shot Routine soll möglichst flüssig ablaufen.

Je einfacher sie ist, desto weniger anfällig ist sie, falls unkontrollierbare Einflüsse auftauchen. Schreibe auf, wie die Pre-Shot Routine aussehen soll. Für das Putten, den Abschlag etc. oder wie im folgenden Beispiel für einen Pitch auf das Green:
Ich stehe hinter den Ball, schaue, wo ich hin will, stelle mir den Schlag vor, Ballflug, Landung, Roll, stelle mich quer zu einem auf der Linie zum Ziel liegenden Punkt, führe einen Probeschlag aus, indem ich nachfühle, wie ich den gewünschten Ballflug produziere. Dann spreche ich den Ball an, schaue nochmals zum Landepunkt und gleich anschliessend im gleichen Fluss führe ich den Schlag aus. – Das ist meine Routine. Ich habe beim Schlag einen freien Kopf. Für mich ist wesentlich, was ich beim Probeschwung nachgefühlt habe. Manchmal mache ich, besonders für das kurze Spiel einen zweiten oder dritten Probeschwung. Bis ich fühle, der ist es.
Du möchtest vielleicht lieber einen „Gedanken“ haben als keinen. Mit einer „Anweisung“ schützt du dich vor plötzlich auftauchenden falschen Gedanken. Denke immer daran, dass abstrakte, intellektuelle Anweisungen zur Selbstsabotage führen. Übersetze die Anweisung in ein Bild, ein Gefühl, ein Geräusch, eine sinnliche Wahrnehmung. Der Schwunggedanke kann sich z.B. beziehen auf den Rhythmus, auf den Landepunkt, auf „den Ball sehen beim Treffen und den Ball nicht aus den Augen verlieren, bis er am Ziel angekommen ist“. Der Rhythmus versinnlicht z.B. wäre ein Takt, eine Melodie, das Wahrnehmen des Atemrhythmus. Routine ist individuell. Sie muss sich aus dem Wesen des Menschen ergeben, voll auf das Individuum passen. Ich nehme gerne mit möglichst vielen Sinnen wahr: Visualisiere z.B. den Ballflug, mitsamt Landepunkt und Roll, fühle im Körper nach und nehme innerlich den Klang des in das Loch fallenden Balls vorweg. Mein Schwunggedanke ist dann das Gefühl, das ich mit dem Nachfühlen gewonnen habe.

Nach dem Schlag ist vor dem Schlag: Post-Shot – Pre-Shot.

Ärgere ich mich über den verschobenen Putt oder schäme ich mich deswegen, fühle ich mich blamiert, bin ich masslos enttäuscht und verfolgt mich eines dieser Gefühle noch minutenlang, wird es den nächsten Schlag beeinflussen. Ärger kann schon mal Adrenalin ausschütten und einen richtig guten, kraftvollen Schlag auslösen. Das ist aber die Ausnahme. Meistens wird der nächste Schlag durch die hängengebliebenen Gefühle beeinträchtigt.

 

Es ist also wichtig, den soeben ausgeführten Schlag auf allen Ebenen abzuschliessen. Wenn es nicht anders geht, kann dem Gefühl kurz Luft gegeben werden, dann soll es aber verrauschen und sich auflösen, damit der Weg frei ist für einen glasklaren Fokus. Gelingt dies nicht auf Anhieb kann dies stetig geübt und damit erlernt werden: Dazu beobachte ich meine Reaktionen und bevor ich mich in eine Emotion hineinsteigere und mich ihr hingebe, sage ich ganz klar STOPP. Tue ich das nicht, wird mich das Spiel lehren und ich muss die Konsequenzen tragen.
 
Meinst du es wirklich ernst mit dem Golfspielen, empfiehlt es sich, im Grossen wie im Kleinen vorzugehen. Pre-Shot, Post-Shot wie eben besprochen und baue deine Routine aus, führe Spiel-Statistiken, analysiere deine Stärken und Schwächen. Denke dir spielerische Trainingseinheiten aus, die dich weiterbringen: Gib dir Punkte, versuche, deinen Best-Score zu unterbieten, gib dir smarte Ziele und setz dich damit selber einem Wettkampf-Druck aus.
Bereite deine Runde vor: Entwerfe Pre-Game (vor dem Spiel) eine Spielstrategie, zieh diese durch und denk nach der Runde über diese und über deine Statistiken nach: Was lief gut? Was ging schief? Was kannst du das nächste Mal verbessern? Was solltest du üben? Und wie könntest du trainieren, damit du besser wirst?  Wie sollte dein Spiel unterstützendes Selbstgespräch lauten, gibt es Schlüsselsätze, funktionieren diese? Können diese optimiert, erweitert werden?
 
Golf zu spielen und das Spiel zu verbessern benötigt viel Geduld mit sich selber. Und immer wenn ich denke, jetzt kann ich’s, lehrt mich das Spiel Demut. Perfektioniert werden kann das Golfspiel beim besten Willen nie. Auch die Professional Golfers haben Swing-Coachs, psychologische Berater, Fitness-Trainer und viele andere Spezialisten an ihrer Seite. Golf spielen hat viele Analogien mit dem „richtigen Leben“, und das InnerGame Training hilft sowohl beim Golf spielen als auch im Alltag.
 

Ah, Sie wollten noch wissen, warum der weisse Elefant plötzlich rosarote Socken trug? Ganz einfach. Die hellblauen wurden beim Schwimmen nass und hängen jetzt zum Trocknen.

 
 
 

Routine verändert und entwickelt sich im Lauf eines Golferlebens, wie das folgende Interview verdeutlicht:

Interview mit Danièle Tschopp, mehrfache Damen-Clubmeisterin DTGR, Captain des DTGR Damenteams 1. Liga, spielt Golf in Bad Bellingen seit 1997. 

Was bedeutet Routine für dich?
Für mich ist Routine eine Kombination verschiedener Elemente: Mental, Technik, Erfahrungen, Fitness, Körperbeherrschung, Intuition, Feeling, Überzeugung, Taktik, Gleichgewicht, Gelassenheit, …
Routine kommt mit den Erfahrungen. Es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen Routine und Erfahrungen aber auch eine gute Technik muss vorhanden sein.

Gibt es aus deiner Sicht einen Zusammenhang zwischen Routine und konstant passablen bis guten Golfrunden? 

Ein gutes Spiel gelingt, wenn alle Elemente zusammen funktionieren und das praktisch automatisch. Das heisst jeder Schlag führt zum Ziel, ohne an die Technik zu denken. Der Kopf muss frei sein und soll keinen Einfluss auf den Schlag haben. 

Wie hat sich deine Routine im Laufe der letzten 10 Jahre geändert?
Meine Routine hat sich im Laufe der letzten Jahre sehr stark stabilisiert. Wenn eines der erwähnten Elemente fehlt, ich zum Beispiel schwache Beine habe oder der Kopf durch Probleme belastet ist, kann ich auf andere Komponenten zugreifen. Wenn die Technik nicht geht, kann ich mit mentaler Stärke kompensieren. Wichtig ist es zu glauben, dass es funktioniert. Schon ein kleiner Zweifel kann den Schlag beeinträchtigen. 

Was beobachtest du bei anderen Spieler:innen bezüglich Routine?
Negative Gedanken: Es braucht nicht den perfekten Schlag zum Erfolg. Man muss an sich glauben und sollte gleichzeitig nicht zu hohe Erwartungen haben. Und man sollte sich und seine Fähigkeiten kennen: Viele Spieler kennen ihre Limiten oder Möglichkeiten nicht.
Und manche „haben das Glas schon zu voll“, will heissen, sie können nichts mehr aufnehmen und wissen alles schon.
 

Welche Empfehlungen für eine bessere Routine würdest du Golfspieler:innen mitgeben?
Bescheidenheit, Geduld, keine Überschätzung, Beobachtung, Training, viel spielen und „ein leeres Glas haben“ im Sinne von Raum für Neues, Aufmerksamkeit, Horchen. Wenn Du mental bereit bist, dann wird deine Leistung gut sein. Wenn du nur an den Sieg denkst, kannst du das Spiel nicht geniessen und je nachdem auch verlieren.
Mir ist vor einigen Jahren der Vorwurf gemacht worden, dass ich zu wenig ehrgeizig sei: Mein Handicap könne viel tiefer sein mit meinem Spiel. Damals hatte ich geantwortet, dass mich mein Handicap nicht interessiert. Ich will schön spielen, das heisst, gute Schläge, schöne Gefühle, dass ich den Ball korrekt treffe und die Bewegung harmonisch ist. Mit der Zeit hat es sich bewahrheitet und es hat sich gezeigt, dass das der richtige Weg war mit viel Erfolg.
Liebe Danièle, herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viele schöne Erfolge!

Erstveröffentlichung: GolfCult, Ausgabe Frühling 2015

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